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150 Jahre Brauwesen und Lebensmitteltechnologie in Weihenstephan

Quelle: Technische Universität München
15.10.2015

Freising

Vom „Brauer-Cursus“ zur global wirksamen Getränkewissenschaft

Vom „Brauer-Cursus“ zur global wirksamen Getränkewissenschaft

Wenn es um die Brauwissenschaft geht, sprechen manche von einer „ur-bayerischen“ Wissenschaft, denn vor 150 Jahren hat sie in Weihenstephan ihren Anfang genommen. Inzwischen ist eine Studienfakultät für Brau- und Lebensmitteltechnologie der Technischen Universität München daraus entstanden. Neben Lehrbüchern und weltweit eingesetzten Bier-Hefen kommen heute aus Weihenstephan auch revolutionierende Verfahren wie das zur kontinuierlichen Gärung oder energiesparenden Milchkonzentratherstellung. Am 16. und 17. Oktober wird das 150-jährige Bestehen der Brautechnologie „Made in Germany“ feierlich gewürdigt.

Damals in Weihenstephan im Jahr 1865 hat alles unter Carl Lintner als einsemestriger „Brauer-Cursus“ begonnen. Bierbrauer sollten daraus hervorgehen, deshalb war er zu Beginn handwerklich geprägt. Allerdings kommt der „Brauer-Cursus“ zunächst gerade bei den Bayern nicht gut an: Rund zwei Drittel der Studierenden stammen aus anderen Teilen Deutschlands. Noch drei Jahrzehnte dauert es, bis 1895 eine „Königlich Bayerische Akademie für Landwirtschaft und Brauereien“ ausgerufen wird.

Für Studierende ist es eine rechte Plackerei mit 54,5 Wochenstunden im Wintersemester und 40 im Sommer. Erst ab 1912 können sie ein zweites Studienjahr belegen, um „Betriebskontrolleur“ zu werden. Dazu finden ergänzende Vorlesungen in Buchführung und Handelswissenschaften statt. Als 1920 die Akademie zur Hochschule für Landwirtschaft und Brauerei erhoben wird, kommen zwei Semester mehr fürs Studium hinzu. So wird ein vier Semester dauernder Studiengang entwickelt, der mit dem Titel „Staatlich geprüfter Braumeister“ abgeschlossen wird. Die Grundwissenschaften wie Chemie und Physik werden ausgebaut, mehr Lehrpersonal wird eingestellt – und von da an steigen die Zahlen der Studierenden kontinuierlich an.

Erste Ingenieure verlassen die Hochschule

Das Promotionsrecht erhält die Hochschule im Jahr 1924. Die ersten Brauingenieure legen 1926/27 ihre Prüfungen ab. Inzwischen kommen die Studenten aus allen Teilen Europas sowie aus Übersee. Es werden viele Monographien veröffentlicht, von der „Technologie der Malzbereitung“ und der „Technologie der Bierbereitung“ bis zur „Biologischen Betriebskontrolle des Brauereibetriebes“ – der Grundstein für die später und heute noch weltweit bekannten Lehrbücher aus Weihenstephan ist gelegt.

Lehrbücher über das Bierbrauen schaffen wissenschaftliche Standards

In der jüngeren Geschichte sind es die Lehrbücher der Professoren Ludwig Narziss und Werner Back, die Weihenstephan endgültig den Ruf als erste Adresse für die moderne Brauwissenschaft einbringen.

Zudem findet Professor Narziss bei seiner Dissertation in breiten Versuchsreihen und in mehreren Brauereien die ideale Hefe für das heutzutage weltweit verbreitete Lagerbier. Sie wird von Weihenstephan aus global vertrieben. „Mit dieser Technologie konnte dieses untergärige Bier so perfektioniert werden, dass es nun auf dem ganzen Globus konsumiert wird“, sagt Dr. Martin Zarnkow – er hat sich unter anderem auf die Bierhistorie spezialisiert und ist Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung des Forschungszentrums Bier- und Lebensmittelqualität – „ebenso haben Doktoranden von Professor Narziss die obergärigen Weißbierhefen charakterisiert, so dass die verschiedenen Geschmacksrichtungen erzielt werden können.“

Genauso wäre der jetzige Wissensstand nicht erreicht worden ohne den Farbatlas der Getränkebiologie von Professor Back: „Er hat die Angst vor bierschädlichen Bakterien genommen“, erklärt Zarnkow. Es wurde in diesem Werk auch eine mikrobiologische Überwachungsstrategie zum Schutz der Hefe, der Gärung und generell zum Schutz des Bieres vor Kontaminationen mit einem in aller Welt verwendeten Nährboden aufgebaut.

Ausbau zur Studienfakultät für Brau- und Lebensmitteltechnologie

Heute arbeiten die Brauwissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) Seite an Seite mit den Lebensmitteltechnologen: Die Fakultät wurde Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts ausgebaut und um den Studiengang Lebensmitteltechnologie erweitert. Weihenstephaner Brauwissenschaftler befassen sich inzwischen mit Malzen aus anderen Getreiden als Gerste oder auch exotischen Pseudogetreidearten wie Quinoa, Amarant, Buchweizen. Sie tüfteln an der Stabilität des Bieres, energiesparenden Braumethoden und haben schließlich ein Non-Stopp-Gärungsverfahren entwickelt, das über mehrere Gärtanks hintereinander effizienter Bier braut, während die Lebensmitteltechnologen eine energiesparende Methode fürs Herstellen von Milchkonzentraten oder neuartige Verpackungsmaterialien erforschen.

Weihenstephaner Standards weltweit im Einsatz

Die Lebensmittelherstellung wie auch das Bierbrauen läuft inzwischen hochtechnologisch ab. Es werden enorme Mengen verarbeitet, vermischt, gewürzt und verpackt. All das muss den Anforderungen der modernen Lebensmitteltechnologie gerecht werden, hygienisch und effizient ablaufen. Es werden Maschinen unterschiedlichster Hersteller eingesetzt, die alle miteinander vernetzt sein sollten. Sehr oft passiert das nach Weihenstephaner Standards: Diese Standards stellen sicher, dass Maschinen und Produktionssysteme bei der Fertigung und beim Abfüllen von Lebensmitteln sowie Getränken reibungslos miteinander kommunizieren und die richtigen Informationen austauschen. Die größten Brauereien weltweit arbeiten damit – sie werden aber nicht nur bei der Getränkeproduktion eingesetzt, sondern ebenso bei der Verarbeitung und Verpackung von Fleisch- oder Backwaren.

Genauso suchen die TUM-Wissenschaftler trübungsrelevante Moleküle beim Bierbrauen oder kümmern sich um die Verbesserung des Aromas alkoholfreier Biere. So besitzt Weihenstephan als einzige Universität eine Entalkoholisierungsanlage, mit der das 0,0-Promille-Bier noch attraktiver werden soll. Neuestes Projekt, welches erst im September 2015 gestartet ist, trägt den Namen „Robofill 4.0“ und soll die individualisierte Getränkeherstellung ermöglichen.

2008 wird Internationales Forschungszentrum genehmigt

In den 150 Jahren, seit die ersten Bierbrauer Weihenstephan verlassen haben, wurde vieles rund ums Bier entdeckt und wissenschaftlich erklärt, was heutzutage beim Bierbrauen weltweit die Standards prägt. „Der wichtigste Schritt in die Zukunft war jedoch die Errichtung des Internationalen Getränkewissenschaftlichen Zentrums Weihenstephan (iGZW) mit einem Investitionsvolumen von rund 25 Millionen Euro“, sagt TUM-Präsident Professor Wolfgang Herrmann, der diesen Wissenschaftssektor im Kontext einer grundlegenden Reform des Standortes Freising-Weihenstephan vorangetrieben hat. „Die zugrundeliegende Forschungsprogrammatik hat den Wissenschaftsrat seinerzeit überzeugt, so dass sich der Bund mit 50 Prozent an den Neubaukosten beteiligt hat. Zudem ist es gelungen, mit Professor Thomas Becker einen ausgewiesenen Lebensmitteltechnologen nach Weihenstephan zu berufen. Zum 150. Gründungsjubiläum ist die Getränkewissenschaft der TUM international konkurrenzlos.“

Mehr über das Fest-Programm zum 150-jährigen Jubiläum der Studienfakultät für Brau- und Lebensmitteltechnologie am 16. und 17. Oktober 2015

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